Gespräche führen und Diskussionen moderieren, gehören zu den Hauptaufgaben des 30-Jährigen. Simon Westarp ist seit seiner Geburt schwer hörgeschädigt. Beim Landesbetrieb Straßenbau NRW ist er Vorgesetzter von rund 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Als kommissarischer Sachgebietsleiter für Bauwerksprüfung und -daten ist er die Schnittstelle zu den Mitarbeitern, die vor Ort den Zustand von Lärmschutzwänden, Brücken und mehr prüfen. Technische Hilfsmittel unterstützen bei Teamsitzungen und Gesprächen.
Simon Westarp ist in der „hörenden“ Welt aufgewachsen. Seine Mutter hat mit ihm normal gesprochen, statt die Gebärdensprache zu benutzen. Bis er mit zwölf Jahren seine Hörprothese – ein Cochlea-
Implantat – bekommen hat, musste er Lippen lesen, um zu verstehen, was gesagt wurde. Auch im Unterricht; denn bis zur zehnten Klasse ging er an eine ganz normale Schule. „Für meine Sprache war das gut. Für meine persönliche Entwicklung nicht so“, erinnert sich der gebürtige Berliner. Er bereut daher nicht, dass er fürs Abitur nach Essen zog, um eine Schule für hörgeschädigte Menschen zu besuchen. Der Austausch mit Menschen, denen es so geht wie ihm, habe ihm gutgetan. Fürs Studium ging es zurück nach Berlin. Ein Mitstudierender und Kollege habe für ihn die Vorlesungen mitgeschrieben, erklärt der 30-Jährige.
Sich selbst reden hören kann er trotz des Implantates nicht. Höhere Stimmen hört er besser als tiefe. Wenn er Gespräche mit seinen Mitarbeitern führt, benutzt er eine spezielle Anlage, die das Gesprochene über Funk direkt zu seiner Cochlea-Implantat überträgt. So kann er telefonieren oder Diskussionen mit mehreren Personen moderieren. Neben der Basisstation hat er dafür acht zusätzliche Konferenzmikrofone. Die moderne Technik hat allerdings ihren Preis: 14.000 Euro hat die Anlage gekostet. Finanziert wurde sie über Mittel, die der Landschaftsverband Westfalen der Stadt Gelsenkirchen zugewiesen hat. Jürgen Puschmann, städtische Fachstelle Behinderte Menschen im Beruf: „Wir haben die Anlage voll bezahlt.“ Aus zwei Gründen: „Der Arbeitgeber erfüllt die Schwerbeschäftigtenquote und kann die Anlage nicht für den eigenen Profit nutzen“, so Puschmann weiter.
Welches Hilfsmittel für den Regierungsbaurat in Frage kommt, hat Simon Westarp mit Mareen Volke vom Integrationsfachdienst Gelsenkirchen (IFD) überlegt. Die Sozialarbeiterin ist beim IFD für Menschen mit Hörbehinderung zuständig und hilft ihnen, ihre Arbeitsplätze zu sichern. „Eine Hörbehinderung ist sehr individuell“, sagt sie. Und weiter: „Die Hilfsmittel müssen zu Mensch und Arbeitsplatz passen.“ Ein Schriftdolmetscher, der alles mitschreibt, war während des Referendariats eine gute Lösung für Westarp. Jetzt, wo Westarp selbst moderieren muss, würde ein Schriftdolmetscher Gespräche unnötig verlangsamen. Da die Fachfrau weiß, welche Hilfsmittel es gibt, empfahl sie die Anlage, die Westarp nun benutzt.
Doch Hilfsmittel allein reichen noch nicht aus, dass Menschen mit Behinderungen beruflich Fuß fassen. Die IFD-Sozialarbeiterin bedauert: „Hörbehinderungen werden immer noch tabuisiert.“ Vorurteile und ein befangener Umgang sorgen immer noch für Probleme im Alltag: Die Aussprache von Gehörlosen und Schwerhörigen ist nicht immer leicht zu verstehen. Arbeitskollegen trauen sich häufig nicht nachzufragen. Andrea Dinsing, Vertrauensperson der Schwerbehindertenvertretung bei Straßen NRW, empfiehlt daher: „Auch gesunde Menschen sollten Hemmungen abbauen und nachfragen, wenn sie etwas nicht verstanden haben.“ Dinsing kennt Westarp bereits seit seinem Vorstellungsgespräch: „Die Batterie seines Cochlea-Implantats war leer. Er hat sie mitten im Gespräch gewechselt und einfach weitergemacht“, ist die Vertrauensfrau immer noch beeindruckt.
Simon Westarp hat einen Appell an andere Menschen mit Handicaps: „Die Menschen sollten ihre Behinderung nicht verstecken, sondern offen damit umgehen.“ Nur so könnten andere Rücksicht nehmen. Insgesamt wünscht er sich, mehr Selbstvertrauen für Menschen in seiner Lebenslage: „Behinderte können mehr als andere glauben.“
Hintergrund:
Der Integrationsfachdienst (IFD) für Gelsenkirchen, Gladbeck und Bottrop unterstützt Menschen mit Behinderungen u.a. bei Problemen am Arbeitsplatz, dem Übergang aus einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung in den allgemeinen Arbeitsmarkt und von der Schule ins Arbeitsleben. Auch Arbeitgeber werden vom IFD beraten, wenn sie Mitarbeitende mit einer Behinderung einstellen wollen oder wenn es Probleme bei der Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen gibt. Beauftragt wird der IFD vom LWL-Integrationsamt in Münster, von der Agentur für Arbeit und der Deutschen Rentenversicherung (früher BfA und LVA). Die Hauptträgerschaft des Integrationsfachdienstes liegt beim Caritasverband für die Stadt Gelsenkirchen e.V.